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Washington D.C.

Geschmäcker sind verschieden − Am nächsten Tag fahren wir ohne Zwischenhalt durch North Carolina und Virginia bis nach Washington D.C. Dort werden wir die nächsten paar Tage bei Patricia im Vorort West Hyattsville verbringen. Pat ist die Cousine von Alicia, die wir in Whittier, Alaska, kennengelernt und später auf ihrer Farm in Rodeo, New Mexico, besucht haben. Bevor wir an Pat’s Tür klopfen, erledigen wir ein paar Einkäufe und geben im Goodwill, welcher mit unseren Heilsarmee Brockenhäusern vergleichbar ist, ein paar Kleider ab, die wir nicht mehr brauchen.

Pat nimmt uns herzlich auf, obwohl ihr gemütliches Backsteinhäuschen schon ziemlich voll ist. Im Moment sind nämlich auch Pat’s Schwägerin Stella, Nichte Vicky und deren beste Freundin Amanda aus Kansas zu Besuch. Markus ist ab sofort der Hahn im Korb ;-). Zum Znacht gibt es Poulet. Uns schmeckt es sehr gut. Vicki’s und Amanda’s Kommentar ist etwas zurückhaltender. Ihr knappes «it’s okay» lässt durchblicken, dass die beiden wohlbeleibten «Countrygirls» wohl lieber ein saftiges Steak gehabt hätten. Für die Nacht ziehen wir uns aus Platzgründen in den LandRover vor Pat’s Haus zurück.

 

Hauptstadt − Den nächsten Tag gehen wir gemütlich an. In schönster WG-Manier versammeln wir uns zu sechst um den Frühstückstisch. Später bringt uns Pat zur Metrostation, von wo aus wir mit der U-Bahn ins Stadtzentrum fahren. Während wir Washington entdecken, geht Pat mit ihren Verwandten in den Zoo, um sich den 8-monatigen Pandabären Tai Shan anzuschauen.

Washington D.C. ist seit 1800 Hauptstadt und Regierungssitz der USA. Die Stadt ist nach George Washington, dem Oberbefehlshaber im Unabhängigkeitskrieg und ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten, benannt. Der Zusatz D.C. steht für District of Columbia. Der Distrikt gehört zu keinem Staat, sondern ist direkt der Bundesregierung unterstellt. Das bedeutet, dass der Kongress gegen die, vom Stadtrat verabschiedeten Gesetze, jederzeit das Veto einlegen kann. Auch das Mitspracherecht auf nationaler Ebene ist eingeschränkt. Zwar können die Bürger von D.C. seit 1964 an den Präsidentschaftswahlen teilnehmen aber im Senat sind sie gar nicht und im Repräsentantenhaus nur mit einem nicht stimmberechtigten Beobachter vertreten. Klar, dass über diese spezielle und nicht immer befriedigende Situation immer wieder debattiert wird. Bis jetzt ist es aus politischen und rechtlichen Überlegungen aber nie zu einer Einigung zwischen den einzelnen Parteien und Interessensgruppen gekommen. Washington ist unter anderem Sitz des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank.

In Washington gibt es keine Wolkenkratzer, da gesetzlich festgelegt ist, dass kein Gebäude das Capitol, den Sitz des Kongresses, überragen darf. Es gibt jedoch drei Ausnahmen, darunter auch das Washington Monument. Sie wurden bereits vor der Inkrafttretung des Gesetzes geplant oder gebaut.

 

Freiluftmuseum − Wir verlassen die U-bahn bei der Station «Smithsonian». Die Smithonian Institution ist eine Forschungs- und Bildungseinrichtung zu welcher 18 Museen und Galerien sowie der National Zoo gehört. Neun der achtzehn Museen und Gallerien befinden sich zu beiden Seiten der National Mall, einem langezogenen Grünstreifen zwischen dem Washington Monument und dem Capitol.

Washington hat aber auch ausserhalb von Museumsmauern viel zu bieten. Die vielen Monumente und Plastiken ergänzen sich zu einem riesigen Freiluftmuseum. Als erstes nehmen wir uns das Washington Monument vor. Der weisse Marmor-Obelisk steht ungefähr in der Mitte der Verbindungsgeraden zwischen dem Capitol und dem Lincoln Memorial und ist fast 170 m hoch. Das Denkmal wurde zu Ehren des Anführers im Unabhängigkeitskrieg gegen Grossbritanen und ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, George Washington, errichtet.

Der Grundstein wurde 1848 gelegt. Doch bereits zehn Jahre später waren alle Spendengelder aufgebraucht und der Bau musste abgebrochen werden. Im Jahr 1876, zur 100-Jahr-Feier der Unabhängigkeitserklärung, bewilligte der US-Kongress einen Kredit und die Bauarbeiten konnten wieder aufgenommen werden. 1884 wurde dem Monument schliesslich die abschliessende Spitze aufgesetzt. Die Bauunterbrechung lässt sich noch heute am Farbunterschied der Steine zwischen dem unteren und den oberen zwei Dritteln ablesen. 50 amerikanische Fahnen, für jeden Staat eine, umringen das Monument.

Wir gehen Richtung Lincoln Memorial weiter und passieren dabei das World War II Memorial. Die Gedenkstätte, die an den 2. Weltkrieg erinnert, besteht aus einem Teich mit zwei Springbrunnen, der auf zwei Seiten von Säulen umrahmt ist. Eine Wand mit 4000 goldenen Sternen ehrt die über 400’000 gefallenen US-Soldaten.

 

Drei grosse Namen − Am Reflecting Pond entlang gelangen wir zum Lincoln Memorial, welches Abraham Lincoln, dem 16. Präsidenten der USA, gewidmet ist. Die 36 dorischen Säulen des im griechischen Stil erbauten Monuments symbolisieren die 36 Staaten, welche zur Amtszeit Lincolns die USA bildeten. Im «Tempel» befindet sich eine fast sechs Meter hohe Statue aus weissem Marmor des sitzenden Lincoln.

Der Republikaner Abraham Lincoln wurde 1860 zum 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Er missbilligte die Sklaverei, gestand jedoch jenen Staaten, die sie bereits betrieben, zu, dass sie dort weiterhin praktiziert werden durfte. Trotzdem lösten sich nach seiner Wahl zum Präsidenten die Südstaaten aus der Union und bildeten die Konföderierten Staaten. Mit dem Beschuss von Fort Sumter bei Charleston durch die Südstaaten begann der vier Jahre dauernde Civil War (Sezessionskrieg). Obwohl die Sklavenfrage einer der Auslöser des Krieges war, so spielte sie zumindest anfangs eine untergeordnete Rolle. In erster Linie ging es um die Wiedervereinigung der Union (aus der Sicht des Nordens), respektive um die Erhaltung der Eigenständigkeit (aus der Sicht des Südens). Erst als Abraham Lincoln realisierte, dass die Sklaverei die Quelle allen Übels ist, ernannte er die Abschaffung dieser schliesslich zum offiziellen Kriegsziel. Damit verunmöglichte er gleichzeitig, dass England und Frankreich, die aus wirtschaftlicher Sicht (Import von Baumwolle aus den Südstaaten für die Textilindustrie) die Konföderation unterstützen, aus moralischen Gründen (Unterstützung der Sklaverei) aktiv in den Krieg eingreifen konnten.

Der Krieg dauerte bis 1865, forderte rund 650’000 Todesopfer und endete mit einem Sieg des Nordens. Um die Ursache des Konflikts ein für allemal zu beseitigen, wurden noch im selben Jahr alle Sklaven befreit. Lincoln wurde nur wenige Tage nach Kriegsende von einem Südstaatensympathisanten ermordet.

1963, 100 Jahre nachdem Lincoln die Befreiung aller Sklaven zum Ziel erklärt hatte, hielt Martin Luther King auf der Treppe vor dem Lincoln Monument seine berühmte Rede «I have a dream», in der er die Gleichbehandlung für Afroamerikaner forderte. Im November 2008 geht für viele dieser Traum in Erfüllung. Der dunkelhäutige Barack Obama wird zum Präsidenten der USA gewählt.

 

Drei grosse Redner − Alle drei − Lincoln, King und Obama − gelten repektiv galten als grosse Redner. Hier eine Auswahl von Lincoln’s treffendsten und witzigsten Sprüchen: «Die Henne ist das klügste Geschöpf im Tierreich. Sie gackert erst, nachdem das Ei gelegt ist.», «Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Leute ohne Laster auch sehr wenige Tugenden haben.», «Wer im Leben kein Ziel hat, verläuft sich.», «Ausführungsbestimmungen sind Erklärungen zu den Erklärungen, mit denen man eine Erklärung erklärt.», «Wenn ich zwei Gesichter hätte, würde ich dann dieses tragen?», «Man hilft den Menschen nicht, wenn man für sie tut, was sie selber tun können.», «Willst du den Charakter eines Menschen kennenlernen, so gib ihm Macht.», «Es ist besser zu schweigen und als Idiot verdächtigt zu werden, als zu reden und dadurch alle Zweifel zu beseitigen.» oder «Halte Dir jeden Tag 30 Minuten für Deine Sorgen frei und in dieser Zeit mache ein Nickerchen.» Wir finden: Sehr sympathisch dieser Mann.

 

Schlicht − Etwas nordöstlich des Lincoln Memorials befindet sich das Vietnam Veterans Memorial. Ursprünglich bestand das durch Spendengeldern finanzierte Monument nur aus der Memorial Wall. Auf zwei 75 m langen Wänden aus schwarzem, polierten Granit sind die Namen der 58’261 amerikanischen Soldaten eingemeisselt, die im Vietnamkrieg entweder gefallen sind oder seither als vermisst gelten. Da die Wand für viele Leute zu düster und als Kriegsdenkmal zu abstrakt war, entschied man sich nach heftigen Debatten, der Memorial Wall noch zwei traditionelle Elemente hinzuzufügen. Diese bestehen aus einem Fahnenmasten und einer traditionellen Bronzestatue, die drei Soldaten zeigt (Three Servicemen). Damit politisch alles korrekt ist, kam 1984 noch das Vietnam Women’s Memorial hinzu, welches die Frauen, die vornehmlich als Krankenschwestern Dienst leisteten, würdigt.

Wir finden, dass aber gerade die Memorial Wall in ihrer Schlichtheit am meisten berührt. Man fragt sich welche Schicksale und Geschichten, sich hinter den unbekannten Namen verbergen. Die Betrachter und die grüne Umgebung spiegeln sich währenddessen im schwarzen Granit und überlagern die Gravuren. Gegenwart mit der Vergangenheit vermischen sich.

 

Grün − Für heute haben wir genug von Monumenten und kehren auf die Constitution Avenue zurück. Dort ist gerade eine Parade zur Feier des St. Patrick’s Day im Gange. Der St. Patrick’s Day ist ein irischer Feiertag zu Ehren des Nationalheiligen St. Patrick und wird jeweils am 17. März von Iren auf der ganzen Welt gefeiert. Wir reihen uns am Strassenrand ein und beobachten das Geschehen. Grün und orange sind die vorherrschenden Farben. Dudelsackspieler und Mädchen, die irische Tänze aufführen, sind die typischen Vertreter der irischen Kultur. Mindestens so interessant ist der Ordnungshüter, der sich genau vor unserer Nase postiert. Mit seinen in die Stiefeln gestopften Hosen, der zu kurzen Krawatte und dem etwas zu kleinen Hut sieht er echt witzig aus.

 

Exekutive − Nach der Parade statten wir George W. Bush einen Besuch ab. Zumindest schauen wir uns das Weisse Haus von aussen an. Irgendwie wirkt es kleiner, als Lulu es sich vorgestellt hat. Aber das täuscht. Denn mit 132 Räumen, 35 Badezimmern, einem Swimmingpool, einem Tennisplatz, einem Kinosaal und einigem mehr dürfte es auch für sie gross genug sein ;-) Auf der Strasse hinter dem Weissen Haus spielt eine Gruppe junger Männer Strassenhockey und Jogger ziehen ihre Runden. Wir wähnen uns in einem ganz normalen Quartier. Erstaunlich, dass die sicherheitsbedachten Amerikaner diesem bunten Treiben keinen Einhalt gebieten.

Nachdem wir uns mit einem Burger gestärkt haben, gehen wir die Pennsylvania Avenue hinauf. Die Strasse ist die direkte Verbindung zwischen den beiden wichtigsten Regierungsgebäuden der USA, dem Weissen Haus (Sitz des US-Präsidenten) und dem Capitol (Sitz der beiden Kammern des Parlaments). Zwischen diesen beiden Symbolen für die Verfassungsgewalten (Exekutive und Legislative) stehen entlang der Avenue zahlreiche weitere Regierungsgebäude. Auf der Pennsylvania Avenue werden jedes Jahr unzählige Protestumzüge und Paraden abgehalten. Hier findet auch die offizielle Parade beim Amtsantritt eines neuen Präsidenten statt.

 

Legislative − Das Capitol ist Sitz des amerikanischen Kongresses und thront am Ende der National Mall auf dem Capitol Hill. Die Bauarbeiten begannen bereits 1793. Sein heutiges Aussehen erhielt das Capitol aber erst 1962, nach dem Ausbau der Ostseite. Dazwischen wurde das klassizistische Gebäude im Unabhängigkeitskrieg von englischen Truppen abgebrannt und anschliessend von verschiedenen Architekten wieder aufgebaut und mehrmals erweitert und verändert. Zur Zeit unseres Besuchs sind die Bauarbeiten für ein neues, unterirdisches Besucherzentrum im Gange. Da heute Sonntag ist, ist das Capitol für Besucher jedoch geschlossen und uns bleibt nur der Anblick von aussen.

Das Capitol besteht aus einer zentralen Rotunde, die im Osten und Westen von Säulengängen eingefasst wird, sowie aus einem Nord- und Südflügel, die die Arbeitsräume enthalten. Auf der Rotunde sitzt eine eindrucksvolle Kuppel, auf deren Spitze eine Statue steht. Wir kommen von Westen her auf das Gebäude zu und müssen zuerst eine Parkanlage mit einem Teich und verschiedenen Statuen durchqueren, um zu den Treppen, die zum Haupteingang hinaufführen, zu gelangen.

Das Repräsentantenhaus befindet sich im Südflügel, der Senat im Nordflügel. Senat und Repräsentantenhaus bilden zusammen den Kongress, die Legislative, der USA. Der Senat besteht aus 100 Senatoren, die jeweils für 6 Jahre gewählt werden. Alle zwei Jahre steht jeweils ein Drittel der Senatoren zur Wahl. Dazu sind die Senatoren in drei Gruppen eingeteilt, den sogenannten classes 1, 2 sowie 3. Jeder Bundesstaat entsendet, unabhängig von seiner Bevölkerungszahl, zwei Senatoren. Die beiden Senatoren eines Staates werden nie zusammen in der gleichen Wahlperiode gewählt.

Das Repräsentantenhaus besteht aus 435 gewählten Abgeordneten. Die Anzahl Repräsentanten pro Bundesstaat ergibt sich durch die Bevölkerungszahl. Die Legislaturperiode beträgt 2 Jahre.

Die wichtigsten Aufgaben des Kongresses sind die Gesetzgebung, die Kontrolle der Exekutive, einschliesslich des Präsidenten und der Geheimdienste und die Vergabe der Haushaltsmittel. Der amerikanische Präsident hat nicht das Recht, an den Sitzungen des Kongresses teilzunehmen. Einmal im Jahr spricht er jedoch zu allen Abgeordneten über die «Lage der Nation» (State oft he Union).

 

Judikative − Weiter führt uns unser Stadtrundgang zum Supreme Court. Der oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten befindet sich ebenfalls auf dem Capitol Hill. Auf dem Weg dorthin kommen wir an ein paar blühenden Kirschbäumen vorbei, für die Washington berühmt ist. Wir blödeln und Lulu boxt Markus dabei in die Rippen. Ein Polizist, der die Szene beobachtet hat, bietet Markus an, für ihn als Zeuge aufzutreten... und das nur ein paar Schritte vom obersten Gerichtshof entfernt. Zum Glück ist alles nur Spass und Lulu muss keine Konsequenzen fürchten.

 

Deftig − Für heute haben wir genug gesehen. Von der Union Station nehmen wir die Metro zurück nach West Hyattsville. Pat hat bereits marinierte Steaks vorbereitet. Für Vicky und Amanda ist das zwar eine Verbesserung gegenüber dem Hühnchen von gestern, aber noch immer nicht zu vergleichen mit einem «real steak», welches man bei ihnen zu Hause bekommt. Spätestens beim Dessert sind alle zufrieden. Es gibt Cheesecake.

 

Studentenstadt − Am nächsten Tag fahren wir zu zweit mit der Metro nach Georgetown, einem Stadtteil von Washington D.C. Georgetown wurde 1751 gegründet und ist somit älter als die Hauptstadt selbst. Heute ist Georgetown eines der teuersten Wohnviertel Washingtons, das wegen seiner Nähe zur Innenstadt, der historischen Architektur und dem besonderen Flair geschätzt wird. Schmucke Häuser im englischen Stil säumen die Strassen. Bunt getünchte Fassaden, Kopfsteinpflaster und wucherndes Grün in den kleinen Vorgärten verstärken den heimeligen Eindruck. Welch ein Unterschied zur monumentalen, strengen Innenstadt.

Georgetown beherbergt auch die gleichnamige Universität. Ihr internationales Rnommee erwarb sich die Georgetown University vor allem durch die Fachbereiche Medizin und Jura. Vor dem Gebäude hat es eine grosse Wiese, auf welcher die Studenten in kleinen Gruppen zusammenhocken. In der Nähe der Uni befinden sich die 75 Stufen der «Exorcist Stairs». Die Treppe spielte im Horrorfilm «The Exorcist» von 1973 eine bedeutende Rolle. Während wir uns die Treppe mühsam hochkämpfen, joggt ein junger Mann mehrmals locker rauf und runter. Unten absolviert er jeweils zusätzlich ein paar Klimmzüge, an einer zwischen Treppe und Hausmauer angebrachten Stange.

 

Hohe Ziele − Zum «Znacht» wärmen wir die Resten von gestern auf. Pat besucht heute einen Blumensteckkurs und kehrt erst später nach Hause. Einer ihrer vielen Träume ist es, einmal für die Blumendekoration im Weissen Haus zuständig zu sein. Allerdings nicht unter George W. Bush. Ihn mag die überzeugte Demokratin überhaupt nicht. Weiter könnte sich Pat vorstellen nochmals ein Studium (Jura) zu absolvieren. Wir bewundern Pat für ihren Ehrgeiz und den Mut in ihrem Alter immer wieder Neues zu beginnen.

Als sie nach Hause kommt, ist sie so müde, dass sie gleich vor dem Fernsehgerät einschläft. Dabei hat sie sich doch so sehr auf die neue Folge von «The Sopranos» gefreut.

 

Und da waren’s nur noch 4 − Am 14. März fliegen Amanda und Vicki nach Hause. Eigentlich hätten sie noch ein paar Tage länger bleiben sollen, aber leider ist Amanda’s Grossmutter gestorben und die beiden reisen frühzeitig ab. Das Stadtleben werden sie nicht vermissen. Sie empfanden es als sehr hektisch und viel zu kompliziert. Es zieht sie wieder zurück aufs Land. Dort, wo man noch mit dem Pferd in (und wir meinen wirklich in!) die Bar reitet, am Sonntag sogenannte «mud races» veranstaltet und auf dem Grill ein echtes Steak grilliert. Eine Reise, wie wir sie unternommen haben, können sie sich nur schwer vorstellen und schon gar nicht, wenn man noch unverheiratet ist! Die beiden Girls waren mit ihrer direkten Art echt witzig und wir hoffen, dass sie trotz allem ein paar schöne Erinnerungen von ihrer Reise in die Stadt mitnehmen.

Während Pat, Stella und die Mädchen an den Flughafen fahren, widmen wir uns ein paar administrativen Arbeiten. Wir reservieren ein Hotel in Baltimore und einen Mietwagen, mit welchem wir von Baltimore nach New York an den Flughafen fahren wollen. Nun haben wir für unsere Heimreise alles in die Wege geleitet. Nur noch zehn Tage... :-(

Um uns auf andere Gedanken zu bringen, gehen wir shoppen. Im REI, einem Oudoor-Laden, kaufen wir einen neuen Deckel für unseren «Camelback», da der alte undicht war. Im Supermarkt suchen wir danach die Zutaten für ein Party Filet zusammen, den heute Abend wollen wir Pat und Stella bekochen. Beim Liquor Shop gibt’s schliesslich noch den passenden Wein dazu. Gleich zweimal erhalten wir heute Komplimente für Nanuq. So zum Beispiel als wir wegen einer roten Ampel warten müssen. Der Fahrer in der anderen Kolonne lässt das Fenster runter und fragt uns über den Land Rover aus. Ja, Nanuq war wirklich ein toller Begleiter und hat manches Herz für uns geöffnet.

Das Nachtessen kommt bei den beiden Frauen wunderbar an. Im Anschluss bleiben wir noch lange am Tisch sitzen, diskutieren über Gott und die Welt und schauen uns ein paar Story People Bücher von Brian Andreas an. Die farbigen Zeichnungen und Sprüche stimmen uns fröhlich und nachdenklich zugleich. Einer unserer Lieblingssprüche ist: «She said she usually cried at least once each day not because she was sad, but because the world was so beautiful & life was so short».

Da es durch Vicki’s und Amanda’s Abreise im Haus Platz gegeben hat, bittet uns Pat ins Haus zu ziehen. Um ihre Gastfreundschaft nicht abzuweisen, kommen wir ihrer Aufforderung nach, auch wenn es für uns bedeutet, dass wir auf dieser Reise keine weitere Nacht mehr in Nanuq verbringen werden. :-(

 

JFK − Am Mittwoch nehmen uns Pat und Stella im Auto mit in die Stadt. In der Nähe der Metrostation Federal Triangle hüpfen wir aus dem Auto und verabschieden uns mitten auf der Strasse von Stella. Sie wird heute nach Kansas City zurückfliegen. Wir wechseln in die U-bahn und fahren zum Arlington Cemetery auf der anderen Seite des Potomac River. Der Nationalfriedhof wurde 1864 während des Civil War errichtet. Er ist ausschliesslich ehemaligen Militär- und deren Familienangehörigen vorbehalten. An Wochentagen finden hier durchschnittlich 28 Beerdigungen pro Tag statt.

Im November 1963 wurde der ermordete Präsident John F. Kennedy im Arlington Cemetery beigesetzt. Sein Grabstein ist von unregelmässigen Granitsteinplatten umgeben und wird von einer nie ausgehenden Flamme bewacht. Nebst dem Präsidenten selbst sind auch dessen Frau Jacky, ihre verstorbenen Kinder und sein Bruder Robert Kennedy, der ebenfalls erschossen wurde, hier beigesetzt. Noch immer besuchen dutzende von Menschen das Grab von John F. Kennedy. Sei es, um ihm ihre letzte Ehre zu erweisen oder auch nur um ein Erinnerungsfoto zu schiessen.

 

Known but to god − Beim Grabmal der Unbekannten liegen jeweils ein unbekannter Soldat aus dem 1. und 2. Weltkrieg sowie aus dem Korea- und Vietnamkrieg begraben. Der «Unbekannte» aus dem Vietnamkrieg wurde später exhumiert, identifiziert und auf Wunsch dessen Familie in einen anderen Friedhof überführt. Am Grab halten Soldaten ununterbrochen Wache. In immer gleichbleibendem Rhythmus schreitet der Wachmann 21 Schritte auf der Matte vor dem Grab ab, hält 21 Sekunden inne, dreht sich um und geht wieder 21 Schritte zurück. Nach einer Stunde wird er von einem Kollegen abgelöst. Bei diesem Prozedere werden die Wachmänner von den Touristen beobachtet. Die meisten von ihnen legen ihre rechte Hand auf die linke Brust − Patriotismus ist in den USA eine Selbstverständlichkeit.

 

Es ist an der Zeit − Auf dem Rückweg werden wir angehalten. Es findet gerade ein Militärbegräbnis statt und man will verständlicherweise verhindern, dass Horden von Touristn daran vorbeilatschen. Wir bleiben stehen und beobachten die Szene von Weitem. Die Zeremonie läuft nach strengen Regeln ab. Auch hier werden die Angehörigen und Zuschauer aufgefordert ihre rechte Hand auf die Brust zu legen. Der Sarg ist mit der amerikanischen Flagge zugedeckt. Bevor er in die Tiefe gesenkt wird, wird die Flagge zusammengelegt und der Witwe übergeben. Obwohl wir weder den Verstorbenen noch dessen Angehörigen kennen, hat das Ritual auch für uns etwas Ehrenhaftes und Ergreifendes an sich. Und eine Frage taucht auf... warum? Warum gibt es immer wieder Kriege und für was müssen Menschen dabei ihr Leben hergeben? Das Lied «Es ist an der Zeit/The green fields of France», welches uns beim Anblick der endlosen Reihen mit weissen Grabsteinen automatisch in den Sinn kommt, wird wohl noch lange aktuell bleiben.

 

«Bschiss» − Wir verlassen den Friedhof und gehen über die Theodore Roosevelt Memorial Brücke zurück in die Innenstadt. Dabei kommen wir beim U.S. Marine Corps War Memorial (Iwo Jima Memorial) vorbei. Das Denkmal ist allen US Marines gewidmet, die bei der Verteidigung der Vereinigten Staaten gefallen sind. Die Bronzestatue stellt eine Szene aus der Schlacht um die japanische Insel Iwojima im Jahr 1945 dar. Es ist eines der bekanntesten Gefechte des Zweiten Weltkriegs und wurde im Rahmen des Pazifikkrieges zwischen Japan und der USA ausgetragen. Die Statue zeigt ein paar US-Soldaten die nach der Eroberung der Insel die amerikanisch Flagge hissen. Sie wurde dem, mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten, Foto «Raising the Flag on Iwo Jima» des Kriegsfotografen Joe Rosenthal nachempfunden. Später stellte sich heraus, dass es sich bei dem Foto um eine Inszenierung handelt, was der Fotograf allerdings zeitlebens bestritt.

Nachdem wir den Potmac River überquert haben, gelangen wir von Nordwesten zum Lincoln Memorial. Obwohl wir schon vor ein paar Tagen hier waren, machen wir ein paar zusätzlich Fotos. Der blaue Himmel und ein paar verstreute weisse Wolken bieten einen schönen Hintergrund.

 

Freedom is not free − Mit dem Korean War Veterans Memorial schauen wir uns ein weiteres Kriegsdenkmal an. Es erinnert an den Koreakrieg zwischen 1950 und 1953 in dem sich Nordkorea zusammen mit seinen Verbündeten Russland und China einen erbitterten Kampf gegen Südkorea, unterstützt von den Vereinten Nationen (UNO), allen voran der USA, lieferte. Am Ende des Krieges gab es zwar auf beiden Seiten viele Opfer zu beklagen, aber praktisch keine Gebietsgewinne respektive –verluste zu vermelden. Die Grenze wischen Nord- und Südkorea verläuft noch immer entlang des 38. Breitengrades.

Der Hauptteil des Denkmals besteht aus 19 lebensgrossen Statuen aus Stahl, die amerikanische Soldaten in voller Kriegsmontur zeigen. Uns faszinieren ihre ausdrucksstarken Gesichter. An ihren Augen und ihrer Mimik kann man ablesen, welchen Horror sie erlebt haben müssen.

 

Bildung − Durch die Grünanlage der National Mall gelange wir zum Washington Monument. Heute wäre die Sicht von der Aussichtsplattform des Obelisken sicher gut, aber leider ist sie wegen zu starkem Wind geschlossen. Wir entscheiden uns daher doch noch für einen Museumsbesuch. Alle Museen der Smithonian Institution sind kostenlos, was wir sehr sympathisch finden. Bevor wir unseren Rundgang durchs National Museum of American History beginnen, stärken wir uns im hauseigenen Subway. Das Museum ist auf drei Etagen verteilt und widmet sich den sozialen, politischen, kulturellen, wissenschaftlichen und militärischen Aspekten der amerikanischen Geschichte. Wir konzentrieren uns auf drei Ausstellungen. «The Price of Freedom: Americans at War» behandelt die militärische Geschichte von der Kolonialzeit bis heute. Wir können also nochmals unser Wissen über den Unabhängigkeitskrieg, den Sezessionskrieg etc. auffrischen. Passend zum Sezessionskrieg wird in einem anderen Raum anhand von persönlichen Erinnerungen betroffener Leute, Originalgegenständen und Audio- und Videodokumentationen die Epoche der Rassentrennung thematisiert. Schliesslich schlendern wir noch durch die Ausstellung «Communities in a Changing Nation: The Promise of 19th-Century America». Anhand von drei Gemeinden erfährt man mehr über das Leben in den Staaten des 19. Jahrhunderts. In Bridgeport, Connecticut erlebt man die industrielle Revolution, in Cincinnati, Ohio findet man sich inmitten der jüdischen Immigranten wieder und in Charleston, South Carolina wird man Zeuge wie die Sklaverei abgeschafft wird.

 

Plötzlich allein − Mehr Informationen können wir heute nicht mehr aufnehmen. Im Bücherladen Barnes & Noble finden wir die dringend nötige Ablenkung. Hier kann man so richtig die Zeit vergessen und stundenlang in Büchern schmökern. Im Wissen um die Gewichtslimite unseres Gepäcks verzichten wir aber auf den Kauf von weiteren Büchern. Schliesslich haben wir bereits vor drei Tagen in Georgetown zugeschlagen. Da gab es zum einen ein Buch über Grafikdesign für Lulu und zum anderen einen englischsprachigen Reiseführer über die Schweiz. Nicht weil wir befürchten, dass wir uns zu Hause nicht mehr auskennen, sondern weil wir hoffen, dass wir mal Besuch von Freunden aus den Staaten bekommen werden. Einmal mehr bewiesen die Amerikaner bei diesem Einkauf ihre Kundenfreundlichkeit. Als Lulu wegen eines leichten Knicks im Grafikbuch nach einem noch eingepackten Exemplar fragte, hiess es zwar, dass sie davon kein weiteres an Lager haben, erhielt aber spontan einen Rabatt auf dem beschädigten Stück.

Unser letzter Tag in Washington D.C. neigt sich dem Ende zu. Wir fahren mit der Metro nach Hause, wo wir uns die Resten vom Party Filet aufwärmen. Pat kommt erst spät nach Hause und so ist es nach den Abgängen von Vicky, Amanda und Stella plötzlich sehr still im Haus.